Auszug aus Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 118
Technik und Motor Dienstag, 22. Mai 2001 meint, er sei ein Sachse – rundlich, umtriebig, mitteilsam und doch nüchtern-effizient. Aber Joachim Kiesler, Jahrgang 1941, hat es aus Schlesien in den Freistaat verschlagen, zu einer Zeit, als der alles andere als ein freier Staat war. Dort hat er zu DDR-Zeiten eine ungewöhnlich eigenständige Unternehmerkarriere gemacht und sie, was noch wichtiger ist, nach der Wende fortsetzen können. Ein Einzelgänger, ein Original -ja, aber mit einem gehörigem Schuß Genie und mit einem großen Herzen für seine Mitwelt.
Joachim Kiesler klein In Geithain – auf halben Weg zwischen Chemnitz und Leipzig – findet man Kieslers Unternehmen kaum auf Anhieb. Die Musikelectronic Geithain GmbH versteckt sich in einem Stadthaus, das schon ein halbes Jahrtausend an seinem Platz steht und mit seinen Anbauten eher einem verwinkelten Fuchsbau gleicht als einer modernen Produktionsstätte. Aber von hier kommen Lautsprecher – genauer: aktive Studio-Monitor-, die zu den besten und geschätztesten ihrer Art auf der Welt gehören. Nachdem der Musikliebhaber und Techniker Kiesler sich jahrelang mit elektronischen Kirchenorgeln befaßt und, wie er sagte, „eine Riesen-Hörerfahrung“ gesammelt hatte, nebst einem präzisen Gefühl für Räume und deren Akustik, wurden Beschallungsanlagen und eben die Spezial-Lautsprecher für Aufnahme und Abmischung zu seinem Metier. In der DDR war er damit bald unentbehrlich. Er rüstete den Rundfunk aus und sorgte für den Klang wichtiger Konzertsäle. Zwar wurde sein Betrieb vergenossenschaftet, doch er behielt, dank seinem Sachverstand, die Zügel in der Hand. Er blieb sogar unabhängig genug, um sich allerlei Frechheiten gegenüber den Funktionären erlauben zu können.
Die Geschichten, die er dazu erzählt, muten heute wie eine Sammlung von Provinzpossen an. Aber so lustig waren die Zeiten nicht. Kiesler, kein SED-Mitglied, hat sie jedenfalls aufrechten Ganges durchschritten und die Genugtuung gehabt, 1986 zum „Verdienten Techniker des Volkes“ ernannt zu werden – freilich nicht für seine Lautsprecher, sondern wegen medizintechnischer Entwicklungen, etwa zur Beatmung Frühgeborener. Ein von ihm erdachter akustischer Bronchitis-Nachweis gehörte nicht dazu – im letzten Moment erkannten die Offiziellen, daß er mindestens soviel über die Luftqualität in der DDR aussagen würde wie über die Gesundheit ihrer Einwohner.
Nach der Wende teilte Musikelectronic Geithain, wieder ein Privatunternehmen, nicht das Schicksal so vieler, denen „der Markt wegbrach“. Im Vertrauen auf seine (auch vorher im Westen durchaus nicht unbekannten) Produkte bewarb sich Kiesler beim Rundfunk in den alten Ländern, gewann Testvergleiche und Aufträge – und ist mit seinen komplett im eigenen Haus gefertigten Monitoren, für die er 1992 den sächsischen Innovationspreis erhielt, heute Marktführer im ARD-Bereich und Lieferant für viele andere Sender und Studios in ganz Europa. Auch mit Beschallungstechnik hat er den Weg westwärts gefunden und eine stattliche Referenzliste aufgebaut. Private HiFi-Fans haben ebenfalls die musikalischen Qualitäten der ME-Geithain-Lautsprecher entdeckt und generieren schon ein Drittel des Umsatzes.
Kiesler freut sich über seine Erfolge nicht zuletzt deshalb, weil er damit Klischeevorstellungen von den neuen Ländern widerlegen kann. Mit seiner technischen Ausrüstung muß er sich keineswegs verstecken: Modernstes elektronisches Gerät gehört ebenso dazu wie ein optimiertes Hörstudio und ein „schalltoter“ Raum für Meßzwecke. Das größte Vergnügen bereitet es ihm aber, Kunden, Interessenten oder Mitarbeiter zu einem Konzert ins Leipziger Gewandhaus einzuladen. Zumal, weil das unvergeßliche Hörerlebnis auch in diesem Saal vor allem dem Beschallungsexperten Kiesler zu verdanken ist.